Daoismus Und Medizin

 

 

 

Daoismus und Medizin

 

Die grundlegenden Vorstellungen des Daoismus bilden gleichsam die theoretische Grundlage für die wichtigsten theoretischen Begriffe und Konzepte der Chinesischen Medizin. Nachdem die sogenannte TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) sich ironischerweise eben nicht auf die eigentliche medizinische Tradition Chinas bezieht, sondern vielmehr ein Konstrukt aus der Zeit Maos darstellt, ist die Beschäftigung mit der daoistischen Philosophie umso mehr von Bedeutung, will man sich mit den energetischen Prozessen der Chinesischen Medizin vertraut machen. 

So finden wir im daoistischen Denken ebenso eine Darlegung – ganz im Sinne des Konzeptes von yin 陰  und yang  陽 - zum Verhältnis von Körper und Geist, welches nicht Ausdruck einer Dualität, sondern  einer Polarität ist. Die Verbindung zwischen diesen beiden Polen, welche die ontologische Dualität von zwei getrennten Seinsbereichen verhindert , wird vermittels der Lebenskraft (qi) hergestellt. 

 

Das Konzept der Lebenskraft Qi 

 

Das Schriftzeichen qi 氣 wird zunächst im weitesten Sinne mit der Nahrung – entweder der Nahrungsaufnahme oder der Nahrungszuteilung – in Verbindung gebracht, welche für alle Wesenheiten des Kosmos unabdingbare Voraussetzung für die Erhaltung und Fortpflanzung des Lebens ist. 

Ausgehend von dieser grundlegenden Bedeutungsebene wird qi als Ausdruck für die prinzipielle Lebensenergie des Kosmos wie die des Menschen begriffen und umfasst dabei, zumindest im ersten Jtsd.v.Chr., sowohl den Aspekt sichtbarer Materie als auch unsichtbarer Energie. Qi bezeichnet zugleich das energetische Potential, aus welchem die Dinge entstehen, wie die Materie selbst. Im Sinne dieser grundlegenden Lebensenergie bezeichnet es – nicht nur im medizinischen Kontext – schließlich auch den menschlichen „Atem“. 

Im einem wichtigen daoistischen Kompendium aus dem 2 Jh.v.Chr.) dem Huainanzi, werden bestimmte Grundpfeiler dargelegt, auf welchen das Qi-Konzept ruht: Dabei ist qi ist eine sicht- oder spürbare Größe, die sich in der Regel innerhalb eines vorgegebenen Raumes ausbreitet, sogar Himmel und Erde bestehen aus verschiedenen Manifestationsformen von qi. Es kann seiner Natur nach schwer oder leicht sein mit, woraus sich eine jeweils unterschiedliche Dynamik ergibt. Ferner besteht eine grundsätzliche Beziehung und sogar gegenseitige Wechselwirkung zwischen dem qi des Mikrokosmos Mensch und dem des Makrokosmos der Natur. Darin impliziert ist die Beobachtung, dass sowohl das qi des Mikrokosmos wie das des Makrokosmos Veränderungen unterworfen ist, die sich wiederum nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten oder sich wiederholenden Zyklen vollzieht. 

Im daoistischen Klassiker Zhuangzi verbindet das qi, den Menschen mit dem gesamten Kosmos, da es Makrokosmos und Mikrokosmos gleichermaßen durchströmt. Dabei wird das Leben als eine Ansammlung und Verdichtung von qi begriffen und das Sterben als dessen Zerstreuung und Auflösung, zwei Prozesse, die einander unaufhörlich ablösen. Locus classicus ist eine Textstelle, in der Zhuang Zi nach dem Tode seiner Frau in keiner Weise trauert, sondern auf einem Kochtopf trommelt und dazu singt. Auf die Frage, ob er denn weder Zuneigung noch Mitgefühl für seine Frau besitze, antwortet er:

 

Als sie gerade gestorben war, wie hätte ich da kein Mitgefühl haben können! Aber forscht man nach ihrem Anfang, dann war da im Grunde kein Leben; aber nicht nur, dass da im Grunde kein Leben war, sondern es gab im Grunde auch keine Körpergestalt, aber nicht nur dass da keine Körpergestalt war, im Grunde war noch kein qi wirksam. Nachdem eine Mischung im Unergründlichen und Unfassbaren [entstanden ist], ist eine Veränderung eingetreten, und so ist das qi zur Wirkung gekommen. Nachdem sich das qi verändert hat, ist die Körpergestalt entstanden, und nachdem sich die Körpergestalt verändert hat, ist das Leben entstanden. Heute ist wieder eine Veränderung eingetreten und so kam es zum Tod. Dies entspricht dem Kreislauf der vier Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter“.

 

Der Prozess von Leben und Tod, im Sinne einer Verdichtung und Zerstreuung von qi, ist ein Kreislauf, der völlig dem der Jahreszeiten entspricht, welche sich regelmäßig wiederholen, ohne dass sie dabei jemals dieselben wären. Doch Zhunag Zi leugnet ebenso wenig die Realität des individuellen Todes wie er sie als absolutes Ende betrachtet. Vielmehr ist jede Form individuellen Lebens und Sterbens Teil desselben kontinuierlichen Lebensprozesses, der niemals endet. Denn schließlich wird der gesamte Kosmos überall und zu jeder Zeit von der einen Lebenskraft (qi) durchströmt, die sich in individuell unterschiedlichster Weise zu manifestieren vermag. Leben und Sterben eines Individuums sind also immer schon Teil dieses allumfassenden Lebensprozesses, so dass der Tod nur eine bestimmte Modifizierung der Lebenskraft (qi) darstellt, er präsentiert sich als vom Leben ausgehend. Der Tod wird hier ebenso als Ende wie als Anfang definiert. Sobald sich die Lebenskraft (qi) zerstreut hat, geht daraus eine neue Modifizierung und Konkretisierung ihrer selbst in Gestalt neuen Lebens hervor. Diese Kontinuität des Lebensprozesses, welche sich als rhythmischer Wechsel von Leben und Tod präsentiert, ist ein wesentliches Charakteristikum der Chinesischen Medizin selbst.